Text: Martin Kalitschke (WN)
Fotos: WN
Der Musical-Weltstar aus Münster und die beiden Frauen aus der Ukraine haben sich noch nie gesehen – aber auf Anhieb eine Menge zu erzählen. „Die Großeltern meines Mannes stammen aus Kiew“, sagt Ute Lemper. Jener Stadt, die Yulyia Metilko und Olesia Dzeneviz im März verlassen haben, um sich mit ihren Kindern in Sicherheit zu bringen. Nun leben sie im Familienhaus am UKM, für das sich Ute Lemper, die am Mittwoch im münsterischen Theater gefeiert wurde, seit Jahrzehnten engagiert. 14 Zimmer hat die Einrichtung für ukrainische Kriegsflüchtlinge zur Verfügung gestellt, 32 Frauen und Kinder sind hier untergekommen, berichtet Geschäftsführer Simon Schlattmann.
Kurz vor dem Ersten Weltkrieg verließen die Großeltern ihres Mannes Kiew in Richtung Amerika, erzählt Ute Lemper. Der Großvater habe als Bildhauer gearbeitet, schuf Skulpturen, die sich mit Themen wie Flucht und Judentum beschäftigten, „wir haben in New York eine Ausstellung mit seinen Werken organisiert“. Die Großmutter ihres Mannes lernte sie noch persönlich kennen: „Sie wurde 95 Jahre alt“ – und kehrte aus ihrer Wahlheimat Brooklyn nie wieder nach Kiew zurück.
Schwestern sprechen perfekt Deutsch
Nie wieder Kiew? Für Yulyia Metilko und Olesia Dzeneviz ist das unvorstellbar. Sobald es geht, wollen sie in ihre Heimat zurück – so wie eine andere Bewohnerin des Familienhauses. „Sie fuhr vor zwei Wochen wieder heim nach Odessa.“ Die Eltern der beiden Schwestern, die ihr nahezu perfektes Deutsch in der Schule gelernt haben, sind nach wie vor in der Ukraine. „Sie wollen nicht weg“, sagt Yuliya Metilko. „Und sind zugleich froh, dass wir mit den Kindern in Sicherheit sind.“
Während der Pandemie stand Ute Lemper 16 Monate nicht auf der Bühne – seit Sommer 2021 ist sie wieder zurück, wird rund um den Globus gefeiert. Der Ukraine-Krieg trübt ihre Freude über die Rückkehr in eine trügerische Normalität. „Die Bilder der Toten, der flüchtenden Frauen und Kinder, der zerstörten Städte, das alles erinnert mich an den Zweiten Weltkrieg“, sagt die 58-Jährige. Sie sei „schockiert“, dass das Rad der Geschichte auf einmal wieder so zurückgedreht wird.
In der Ukraine ist Ute Lemper nie aufgetreten
In Russland sei sie oft aufgetreten – in der Ukraine nie. „Es hat sich einfach nicht ergeben“, sagt Ute Lemper. Was nicht war, kann ja noch kommen. Ein Auftritt in der Ukraine, wenn der Krieg wieder vorbei ist – „das wäre das richtige Zeichen“, sagt die Sängerin. Yuliya Metilko und Olesia Dzeneviz sind begeistert.
Im Familienhaus leisten sie aktuell als Dolmetscherinnen wertvolle Arbeit, zugleich arbeiten sie im Homeoffice, das so unfassbar weit von ihrem Zuhause entfernt ist, weiter für ein ukrainisches und ein israelisches IT-Unternehmen. „Bei uns sind aktuell auch zwei russische Familien untergebracht“, erzählt Simon Schlattmann – Angehörige von schwer kranken Kindern, die in der Uniklinik behandelt werden. Das Zusammenleben verlaufe problemlos, „im Garten spielen alle gemeinsam Fußball“.
Montag geht es zurück nach New York
Die 14 Zimmer werden ukrainischen Flüchtlingen so lange zur Verfügung stehen, wie es nötig ist, sagt Schlattmann. Yuliya Metilko und Olesia Dzeneviz glauben nicht, dass sie vor Jahresende in die Ukraine zurückkönnen. Ute Lemper ist derweil auf dem Sprung, sie wird bereits an diesem Montag in ihre Wahlheimat New York zurückfliegen.
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